Ads im Wahlkampf?
Das Super-Wahljahr 2017 hat fast den Höhepunkt erreicht: Nach der Landtagswahl in NRW geht es am 24. September mit der Bundestagswahl weiter. Der Wahlkampf läuft und damit das immer wiederkehrende Prozedere: Plakate, bedruckt mit Kopf, Spruch und Partei-Name hängen zur traditionellen Wahlkampf-Parade an Laternen. Marketer bekommen das große Heulen. Hallo Streuverlust – da bist du wieder! Und damit werden Millionen Euro und Spendengelder auf die Straße geworfen.
Spuren des Wahljahres auf Facebook sucht man vergeblich. Politische Offensiven? Fehlanzeige! Ads, die perfekt in die Timeline passen? Weiterhin aus jedem Bereich vorhanden, nur nicht aus der Politik. Ab und zu verirrt sich eine Ad auf den Screen, obwohl das Motto dabei mehr „Gewollt, aber nicht gekonnt“ ist (Beispiele folgen weiter unten).
Politiker sehen ihre Innovation darin, Hashtags auf Plakate zu drucken. Und dann? Hat schon irgendwann mal jemand sich von einem #NRWir zu einem Tweet berufen gefühlt? #NRWas?
Die Kampagnen laufen. Aber kann spontan und in Realtime noch was gedreht werden? Es kann – und wir meinen nicht, Rosen in der Fußgängerzone verteilen. Wir meinen natürlich Facebook Ads für den Wahlkampf!
Social Media hat tatsächlich Einfluss auf Wahlen
Welchen Einfluss soziale Medien auf den Ausgang einer Wahl haben können, ist seit der US-Wahl und spätestens seit Facebook Zuckerbergs Geständnis letzte Woche kein Geheimnis mehr. Facebook hat indirekt Russland vorgeworfen, das Netzwerk im großen Stil für Manipulation und Meinungsmache benutzt zu haben.
Natürlich bleibt es äußerst fraglich, ob Data eine Wahl alleine entscheiden kann oder ob Clinton, das FBI und der Wähler himself nicht auch beteiligt waren. An dieser Stelle müssen wir aber eine Gegenfrage stellen: Wer hat sich beim Ankreuzen des Wahlzettels auch nur an ein einziges Wahlplakat erinnert?
Es bleibt ein Phänomen, dass deutsche Politiker im Jahr 2017 noch immer den Social-Wahlkampf darauf beschränken, auf Fanpages Selfies und Slogans zu posten.
Grob fahrlässig! Keine Partei sollte sich darauf verlassen, dass zielgruppengenaue, rechtspopulistische Hetze nicht doch einige wichtige Prozente am Wahltag entscheiden könnten. Auf Kanälen nicht zu werben, die alleine in Deutschland rund 26 Millionen Menschen täglich nutzen, wirkt im Jahr 2017 leider realitätsfern.
Targeting macht exakte Ansprache auch im Wahlkampf möglich
Bezahlte Werbung auf Facebook und Instagram hat gegenüber jedem Wahlplakat den Vorteil, Menschen sehr gezielte zu erreichen und diese mit sehr zielgruppengenauen Botschaften anzusprechen. Dies gilt nicht nur in kommerzieller sondern auch in politischer Hinsicht. Hier ein Extrembeispiel für Targeting Optionen, mit denen sich Menschen erreichen lassen, die sich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit einer bestimmten politischen Richtung zugehörig fühlen.
(Vielen Dank an Richard Joos für den Screenshot. In seinem Artikel geht er noch tiefer auf das Thema: Facebook Ad Targeting und Nazis bei der Bundeswehr ein.)
Eine Partei aus diesem politischen Lager könnte diese Targeting Optionen nutzen, um auf Wahlfang zu gehen. Gleichzeitig könnte jede andere Partei mit einer passenden Kampagne versuchen, Zielgruppen aus dieser politischen Richtung zu gewinnen oder vom Gegenteil zu überzeugen…
Dabei könnte in Echtzeit auf Rückfragen, Streuverluste und Meinungen derjenigen, die die Werbung gesehen haben, eingegangen werden. Spontan können Kampagnen umgesetzt werden, wenn der Wahlkampf schon als gelaufen gilt.
Natürlich schließt Social-Wahlkampf nicht nur Facebook Advertising ein. Aber genau dort sehen wir gesondert Bedarf – und anscheinend nicht nur wir.
Im Artikel von Digital Berater Philipp Steuer zu dem Thema „1000 Plakate statt Facebook“ erklärt der Blogger richtig, dass lediglich Autofahrer von der Print-Straßenwerbung angesprochen werden und die Plakate nicht immer positiv in Erinnerung bleiben. Und auch in einem „Stimmenfang“-Podcast von „Spiegel Online“ diskutieren Experten, wie Facebook die Bundestagswahl beeinflusst. Dort ist man sich einig, dass Deutschland von den amerikanischen Verhältnissen noch weit entfernt ist, aber Möglichkeiten keinesfalls unterschätzt werden dürfen.
Erste Ads-Ansätze für den Wahlkampf
Wir stimmen zu! Der Wahlkampf hat begonnen und schon wieder verschlafen deutsche Politiker Social Media. Alle? Tatsächlich verirren sich ab und zu Wahlkampf-Ads in den Timelines der Social Marketing Nerds.
Die Ad der FDP wurde gleichzeitig auch auf Instagram ausgespielt. Mobil und Desktop (Timeline und Rechte Spalte). Ein Facebook-Pixel sucht man allerdings vergebens auf der FDP-Homepage (aber dazu unten mehr).
Und auch die CSU und die SPD tasten sich an Instagram ran.
Martin Schulz testet die Mr. Burns Optik ohne Frau Merkels Machtdreieck zu kopieren. Die CSU haut nach den G20-Ausschreitungen in Hamburg einen komplett fehlgeschlagenen Wink mit dem Zaunpfahl raus.
Das Problem, das jede Partei ignoriert: Bei Instagram kommt es auf geile Bilder an! Für Werbetreibende funktioniert das Prinzip auch nicht, einfach ein Werbeplakat zu posten. Ebenso müssen auch Politiker im Wahlkampf umdenken. Wahlplakat ist nicht gleich FB Ad!
Praxis-Tipps: Targeting am Beispiel von Erstwähler*innen
Lange Einleitung, ran an die Praxis. Am Beispiel von potentiellen Erstwählern aus Köln zeigen wir deshalb hier einmal, wie exakt und effizient Facebook Ads im Wahlkampf eingesetzt werden können.
Wie die Stadt Köln hier erklärt, werden in NRW rund 840.000 Erstwähler gezählt. Alleine in Köln sind es 44.000 Erstwähler. Über die Facebook Werbeplattform lassen sich in den Kölner Wahlkreisen aktuell 75.000 potentielle Erstwähler zwischen 18 und 20 Jahren erreichen. Die Abweichung kann damit erklärt werden, dass Personen ins Targeting fallen, die keine Wahlberechtigung haben, aber dort leben.
Durch den Einsatz von Sprachen, aktuellem Standort und Herkunft, lassen sich diese sehr stark auf wirklich wahlberechtigte Erstwähler herunterbrechen. Darüber hinaus ist es möglich, über Postleitzahlen noch granularer zu targeten. Es besteht somit die Möglichkeit, einen großen Anteil potentieller Erstwähler mit einer für den Wahlkreis individuellen Kampagne zu bespielen. Es kann in der Kampagne auf die lokalen Bedürfnisse des jeweiligen Stadtteils eingegangen und auf das entsprechende Wahlprogramm des vor Ort ansässigen Kandidaten hingewiesen werden.
Zusätzlich lässt sich mit Facebook Audience Insights rausfinden, was die Zielgruppe bewegt, was sie liked, dass sie fast nie ein iPad oder einen Laptop nutzt, sondern nur ihr Smartphone und hauptsächlich Android. Die Insights zeigen, dass sie zu 73 Prozent Deutsch sprechen, zu 7 Prozent ein englisches Profil nutzen, zu 6 Prozent ein arabisches und dass sie auf „Made my day“, „Promiflash“ sowie „9GAG“ stehen.
Erstwähler können in unterschiedliche Profile eingeordnet werden, unter anderem in Erstwähler aus PLZ-Gebieten mit niedriger Wahlbeteiligung, wie der Screenshot zeigt. In Köln lässt sich das dank einer interaktiven Karte des „Kölner Stadt-Anzeiger“ filtern. In Chorweiler betrug die Wahlbeteiligung bei der Oberbürgermeisterwahl nur knapp 20 Prozent, in Kalk keine 25 Prozent, in Vingst keine 23 Prozent. Anhand solcher Daten können auf Basis von Postleitzahlen Ads geschaltet werden, da hier das Nachbarschafts-Targeting angewendet wird und damit die Annahme besteht, eine homogene Gruppe von Menschen mit ähnlichem Verhalten zu erreichen.
Interessen und Alter können angepasst werden
Natürlich können durch diese Informationen auch andere Altersgruppen angesprochen werden. Die Filter-Kriterien lassen sich dabei anpassen und in Bereiche segmentiert werden wie starke CDU-/ SPD-Sympathie, in Gegenden mit vielen Singles und geringer Geburtenrate, in Bereiche mit Familien und mangelnden Kitas oder hoher Arbeitslosenquote… Welche Anzeige für wen und wo am effizientesten wirkt, lässt sich wie immer durch Split-Tests analysieren.
Diese demographischen Daten lassen sich mit den oben erläuterten Targeting-Optionen auf PLZ-Basis sowie Interessen bzw. Poltischen Milieus kombinieren. Hier ein Beispiel für Micro Targeting auf politischer, demographischer und lokaler Ebene.
Mit einem Gesamtbudget von ca. 30€ lassen sich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit 70-90% dieser 4100 Menschen in kurzer Zeit mit einer politischen Botschaft erreichen.
Dies gilt nicht nur für politische Rand-Milieus.
Es können beliebig andere Interessen ausgewählt werden, die nicht nur – wie im Beispiel – Erstwähler einer bestimmten Gruppe, sondern auch andere Wähler-Typen erreichen.
Anzeige muss nicht gleich Anzeige sein
Es bieten sich verschiedene Anzeigen an. Zum Beispiel muss dafür nicht jede Ad auf der Fanpage gepostet werden, sondern kann auch als Darkpost abgesetzt werden, sodass er den Zielgruppen ausgespielt wird, aber nicht in der Timeline erscheint.
Damit Posts nicht direkt nach Werbung aussehen, können auch Page Post Engagement Ads geschaltet werden, die (abgesehen vom „Sponsored“-Hinweis) wie normale Beiträge aussehen und sich zwischen anderen Ads und News-Beiträgen perfekt in die Timeline integrieren. Ob es dabei immer ein Politiker-Gesicht mit Spruch sein muss oder vielleicht doch ein ausdrucksstarkes Foto, lässt sich auf Effizienz testen.
Um an dieser Stelle einen wirklich „ausgefallenen“ Gedanken in die Welt zu tragen: Coole Ads für diese Zielgruppe können auch auf Instagram oder sogar auf Instagram-Stories mit spannendem Storytelling beworben werden. Ein Exkurs in „Wahlkampf meets Content Marketing“ könnte an dieser Stelle allerdings zu weit gehen… Deshalb bleiben wir besser im Facebook-Kosmos.
Die Basics einer Anzeige erklärt der Burger-Case am besten – und er lässt sich auch auf Wahlkampf-Ads anwenden.
Aus gegebenem Anlass haben wir übrigens einen Blick auf die Webseiten von Parteien in anderen Ländern geworfen. Einen Facebook Pixel auf ihrer Seite haben die Republikaner in den USA und zum Beispiel die Front National in Frankreich.
Bei den Demokraten und der französischen Mitte-Links Partei En Marche (Emmanuel Macron) leuchtet dagegen kein Pixel-Zeichen im Browser auf.
In Deutschland sieht es tatsächlich besonders mau aus. Aktuell hat keine Partei einen FB-Pixel auf ihrer Seite.
Pixel-Flaute auf deutschen Seiten
Über den Pixel können Webseiten-Besucher erkannt, nachverfolgt und effizientere Ads aufgrund der Pixel-Daten aufgesetzt werden. Durch Datenanalyse lassen sich nämlich nicht nur Erstwähler, sondern auch Wechselwähler erkennen.
Um noch einmal auf das Beispiel der US-Wahl zurückzukommen: Zu Trumps Sieg verhalfen ihm unter anderem die Swing States, die er auf Facebook exakt ansprach, beziehungsweise, die seine Agentur Cambridge Analytica durch ein Datennetz getargetet hat.
Die Agentur nutzte die Herleitung von Persönlichkeitsmerkmalen durch Facebook-Profile, die Datenanalyst Michael Kosinski („Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“) ursprünglich feststellte.
Keine Frage: Man muss nicht mit dem Ergebnis der Wahl zufrieden sein. Die Strategie aber beeindruckt.
Auf der Online Marketing Seite Rockstars hat Cambridge Analytica CEO Alexander Nix gezeigt, wie sie Trump zum Sieg mit dem gezielten Einsatz von Facebook Anzeigen verholfen haben: